Opfer von NS-Kinderraub trägt sich in Goldenes Buch der Stadt ein
Lemgo. Mit vier Jahren kam Barbara Paciorkiewicz nach Lemgo. Unfreiwillig, denn die gebürtige Polin war Opfer der Zwangsgermanisierung der Nationalsozialisten, wurde ihrer Familie weggenommen und nach Lemgo gebracht. Hier erlebte sie aller Widerstände zum Trotz glückliche Momente und hat sich nun in das Goldene Buch der Stadt eingetragen.
Bürgermeister Markus Baier begrüßte Barbara Paciorkiewicz im Rathaus und dankte ihr für die langjährige Verbundenheit mit der Alten Hansestadt. „Sie sind eine Zeitzeugin und Sie sind mit Lemgo verbunden geblieben. Wenn Sie von ihrem Schicksal berichten, sorgen Sie dafür, dass die Geschichte und die Erinnerung daran lebendig bleiben. Sie geben Antwort auf Fragen wie ‚Was machen solche Erfahrungen mit einem Menschen?‘. Und Sie sind stark, haben trotz dem Unrecht, das Ihnen widerfahren ist, Menschen getroffen und das Gute in ihnen entdeckt. Dafür sind wir Ihnen sehr dankbar und freuen uns, dass Sie sich in unserem Goldenen Buch verewigen“, so der Bürgermeister.
Die Zwangsgermanisierung war Teil der Rassenpolitik des NS-Regimes. Kinder, die als geeignet angesehen wurden, wurden aus ihren Heimatländern geraubt und nach Deutschland gebracht. Das Ziel war es, den Kindern eine neue „deutsche“ Identität zu geben und sie ihre Herkunft vergessen zu lassen. Barbara Paciorkiewicz kam als Vierjährige nach Lemgo und lebte dort sechs Jahre als Bärbel Rossmann. Sie hatte Glück, anders als viele andere Opfer der Zwangsgermanisierung. Sie erinnert sich von Tag eins in ihrer deutschen Familie an lächelnde Gesichter und offene Arme, sagte sie selbst.
1948 war Barbara Paciorkiewicz als polnisches Opfer des Kinderraubs identifiziert worden und wurde zurück nach Polen geschickt. Es begann eine harte Zeit für sie, hatte sie doch die polnische Sprache fast gänzlich verlernt und wurde von den anderen Kindern als „Hitlerine“ beschimpft. In den 60ern entstand erneut der Kontakt nach Lemgo und zu ihrer Familie Rossmann. Auch wenn sie das Angebot, nach Lemgo zurückzukehren, ausschlug, in Polen blieb, erfolgreiche Modedesignerin wurde und eine Familie gründete, blieb sie mit Lemgo verbunden. „Ich habe bis heute eine kleine Heimat in Lemgo“, sagt die heute 84-jährige.
In Lemgo hat Barbara Paciorkiewicz auch ihre Spuren hinterlassen. Im Rahmen einer Wanderausstellung zum NS-Kindesraub, die 2015 im Hexenbürgermeisterhaus zu sehen war, gab es eine Veranstaltung mit ihr. Viele ihrer Freunde und Bekannte aus ihrer Zeit in Lemgo nahmen daran teil und manche erfuhren erst dadurch von der bewegten Lebensgeschichte von Barbara Paciorkiewicz. Bei ihrem diesjährigen Besuch zeigte die Gemeinde St. Nicolai in Kooperation mit der Gedenkstätte Frenkel-Haus den Dokumentarfilm „Mädchengeschichten“ (2020). Der Film bringt drei Zeitzeuginnen des NS-Regimes zusammen, Barbara Paciorkiewicz ist eine von ihnen.
Bild- und Textquelle: Alte Hansestadt Lemgo